Zusammenhänge sind wichtig,
Zahlen sind Unsinn!
Herr Schell betritt mit geringfügiger Verspätung als einer
der Ersten das Klassenzimmer. Dort findet er einen desolaten Haufen vor, aus dem
sich nur Scotti hervortut, indem er die mit Kopien und Folien beladene Tasche
zum Pult trägt. Obligatorisch ist ein herzliches „Grüß Gott“ von vorne rechts,
was für eine angenehme Grundstimmung sorgt. Unter solcherlei Voraussetzungen
wird beschwingt der Stuhl zurechtgerückt und die Tasche geöffnet. Zu Tage treten
die für den Unterricht benötigten Arbeitsutensilien: ein roter, pfundschwerer
Ordner, eine unabdingbare Kreidedose und eine handsignierte
Geschichtsbuchausgabe. In uneigennütziger Weise betont Herr Schell nochmals,
dass das Kapitel „Weimarer Repubilk“
für
das Abitur besonders wertvoll ist. Als nächstes schreitet er zum Kartenständer,
um seinem Jacket den angestammten Platz zukommen zu lassen. Schnell wird noch
der Kugelschreiber entnommen, bevor er sich majestätisch vor dem gespannten
Auditorium niederlässt. Nachdem auch die Uhr und die Brille in Position sind,
beginnt, so scheint es jedenfalls uns, für ihn der schönste Teil der Stunde: die
Anwesenheitskontrolle. Ohne diese wäre das Leben nur halb so schön, weshalb sie
einen ausgedehnten Stellenwert in der Stundengestaltung unseres Schelli-Boys
einnimmt. Voller Stolz auf seine brilliante Buchführung, genießt er es,
scheinbare Regelmäßigkeiten in der Ab- und Anwesenheit aufzuzeigen: „Nicht da,
da, da, nicht da, da, da, nicht da......passt!“. Oder: „So oft nicht da und der
will hier Abi machen?“.
Währenddessen beweist er sich als absoluter Ruhepol in Mitten einer stürmischen
Menge, in der langsam der Lärmpegel steigt, bis Herr Schell zum nächsten
Tagesordnungspunkt kommt: der Abfrage. „Ha, Andi gelernt – nee, ich lass dich
noch a weng zappeln, (Buchstabe „S“ dran!), Scholz nicht da, Schuster letzte
Stunde nicht da, Stuhlmüller ... , Wissing kann ich auch nicht abfragen – hat
gestern Referat gehabt, Stuhlmüller ist wohl der Dumme...“.
Dann beginnt das Chaos: Die Magna Charta von 1949 kombiniert mit dem Bayerischen
Reinheitsgebot für Prosecco und das Grundgesetz von 1215, entwickelt aus dem
Godesberger Programm von 1066 (oder ’59?). Der im Spiegelsaal von Versailles
gekrönte Konrad Adenauer fuhr mit Fürst Metternich gern im Salonwagen durch
Compiègne nachdem die CDU 1919 zum Wahlboykott aufgerufen hatte. Aber das
strategische Konzept der NATO von 1492 führte Luxemburg zur uneingeschränkten
Weltherrschaft. Der Gerichtshof für Menschenrechte in Peking bestritt, dass Karl
der Große eine kleiner Europäer war; seine Körpergröße betrug mindestens 1,99m.
Wie gesagt: „Zusammenhänge sind wichtig, Zahlen sind Unsinn!“.
Manchmal sorgte solch eine geballte Menge an Wissen zu manischen
Selbstgesprächen und zu Komaähnlichen Schlafzuständen. Aber: „morgen,...bin ich
wieder topfit,...wie aus dem Jungbrunnen gezogen...“.
Lieber Herr Schell, am Anfang befürchteten wir, dass die zwei Jahre mit Ihnen
sehr steif ablaufen würden. Glücklicherweise lockerten sie die Atmosphäre schon
in den ersten Stunden und widerlegten somit unsere Vorurteile. Ihre trockenen,
sarkastischen Kommentare zum geschichtlichen Weltgeschehen und gegenüber der
politischen Ausrichtung unseres Kurses haben uns immer erfreut und wurden
durchwegs mitnotiert.
Auch die in Berlin gelegentlich geschehenen Exzesse wurden von Ihnen mit
Toleranz und Wortwitz ertragen. In Entsetzen versetzte uns allerdings in Schney
ihr mangelnder Mineralwasserkonsum. „Der Gesundheitsminister warnt: Auch der
übermäßige Verzehr von Käseplunder, Kaffee und Zeitung kann gelegentlich zu
Kreislaufbeschwerden führen. Als Vorsichtsmaßnahme empfehlen wir Ihnen möglichst
die Finger von Leistungskursen, Folien und Kreiden zu lassen.“ Kennen sie
übrigens das Café Beckstein?!?

Vielen Dank für zwei tolle Jahre, ihr G/SK-LK
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