Helga Rehwald’s Tagebuch
Liebes Tagebuch, 24.06.2000
Oh nein, welch schrecklicher Tag! Ich habe heute erfahren, dass ich schon
wieder einen Englisch-Lk übernehmen muss. Da sind doch immer sooo schlechte
Schüler drin, lauter Leute, die Englisch nur als Notlösung nehmen. Es ist so
gemein, dass ich schon wieder keinen Französisch-LK leiten darf, denn der
strotzt immer so vor Engagement und Interesse. Ganz im Gegensatz zu einem
Englisch-LK.
Mein einziger Trost ist, dass mein Freund Heinrich den 2. LK nimmt. Da können
wir uns immer wunderbar absprechen und austauschen, denn wir haben ja ungefähr
dieselben Leistungsvorstellungen. Der einzige Unterschied ist: „Ich gebe die
besseren Noten, haah!“ (O-Ton Fr. Rehwald)
Jetzt muss ich aber los, sonst komme ich zu spät zum Bruce Springsteen
Konzert.
Deine Helga
Liebstes Tagebuch, 15.05.2001
Es ist nicht zum Aushalten! Meine Befürchtungen haben sich tatsächlich
bewahrheitet. Jetzt unterrichte ich diesen Haufen schon knapp ein Jahr und von
Motivation und Engagement keine Spur; nicht einmal Hausaufgaben werden gemacht
und gelernt wird, wie es mir scheint, aus Prinzip erst gar nicht. Und so etwas
in einem „advanced english course“. Ich kann´s nicht glauben! Außerdem fehlt
jegliche Mitarbeit, dabei müssten sie doch eigentlich wissen, dass bei einer
Fremdsprache der Unterricht von Mitarbeit lebt! Aber nein, entweder sagen sie
keinen Ton oder unterhalten sich untereinander. Vor allem die Ecken links vorne
und rechts hinten treiben mich zur Weißglut! Nicht eine Minute Aufmerksamkeit
schenken diese Schüler meinem ausgeklügelten Unterrichtskonzept. Diese dauernde
Störung durch ihre permanente Schwätzerei geht mir sooo auf die Nerven! Nicht
einmal nach Zurechtweisungen wie, „Ich möchte sie in dieser Konstellation nicht
mehr sitzen sehen!“, verhalten sie sich wie junge verantwortungsbewusste
Erwachsene. Aber meine Gutherzigkeit wird von ihnen natürlich schamlos
ausgenutzt (so eine Frechheit!), und am Ende lass’ ich mich doch wieder dazu
überreden, sie so sitzen zu lassen wie vorher.
So, jetzt habe ich mich genug echauffiert; zur Beruhigung geh’ ich jetzt zu
meiner Yoga Stunde.
Schönen Abend noch,
Deine Helga
Liebes Tagebuch, 30.03.2002
Mein letzter Eintrag ist schon fast wieder ein Jahr her und meine Schützlinge
stehen tatsächlich kurz vorm Abitur. Unfassbar, aber es ist Besserung in Sicht.
Ich glaube, sie erfassen allmählich den Ernst der Lage. Von einigen hatte ich
das ja ehrlich gesagt nicht erwartet. Meine Schäfchen sind doch immer wieder für
eine Überraschung gut – Ach, was schreibe ich denn da. Schäfchen, das klingt
schon wieder so ...wie soll ich sagen... christlich! Und dagegen verspüre ich
doch immer eine klitzekleine Aversion. Dabei war ich früher sogar einmal
Ministrantin, und mir hat es damals auch noch Freude bereitet! Ah, daran darf
ich gar nicht denken. „Isn’t it aaaawfull?!” – Ich kann’s einfach nicht lassen
mich ein bisschen aufzuregen. Einiges verstimmt, ja man könnte fast sagen
verärgert, mich aber gelegentlich schon noch.
Zum Beispiel diese ewige Zuspätkommerei. Wenn das dann auch noch während
meiner geliebten Ruheminute am Freitagmorgen passiert, ist der Tag fast schon
wieder gelaufen. Doch ich muss zugeben, manche Ausreden amüsieren mich schon
köstlich. Es gibt doch tatsächlich Schüler, die meinen, sie seinen von ihrem
kleinen Bruder so in den Hintern gezwickt worden, dass sie vor Schreck gegen die
Schrankkante gestoßen seien und deshalb bewusstlos am Boden gelegen wären. „Das
giiiibt es doch nicht!“.
Oder auch diese grobfahrlässigen Fehler, v.a. in Referaten. Das wohlgemerkt
in einem „advanced english course“! Manche sind so grausam, dass ich am liebsten
schreien würde. Aber ich bin ja eine durch und durch beherrschte Person. So
halte ich mich lieber krampfhaft am Tisch fest, schüttle höchst unauffällig den
Kopf, und seufze nur äußerst leise kläglich vor mich hin, um vor meinen Schülern
zu verbergen, wie sehr ich innerlich leide. Ich glaube, bisher hat es wirklich
noch Keine und Keiner (auf das Femininum bestehe ich!) bemerkt.
Nichts desto trotz spüre ich mittlerweile, dass ich meinen Kurs langsam ein
bisschen ins Herz schließe. Ich bemitleide sogar schon meine Schüler, die krank
sind. Wenn jemand hustet, „tut mir das ja schon seeelber weh“. Außerdem macht es
mir jetzt noch mehr Spaß sie zu Weihnachten, Ostern, Nikolaus oder vor Klausuren
zu beschenken, was ihnen auch wirklich immer Freude bereitet.
So, Schluss für heute. Ich muss schließlich noch eine meiner unzähligen
Broschen für mein morgiges Outfit auswählen (ein kleines Accessoire muss schon
sein). Am Besten ziehe ich meinen Mondkalender zu Rate. Oh, Vollmond! da ist
wohl die große, runde, silberne angesagt....
Deine Helga
Liebes Tagebuch, 23.04.2002
Gestern Abend hatte ich meinen ganzen Kurs zu mir nach Hause eingeladen.
Georg floh wie immer auf die Altenburg, jedoch hatte er sein fünfstündiges
Hörerlebnis „Die Vogelstimmen“ vergessen. Naja, meine Schüler hat es jedenfalls
amüsiert.
Diesmal habe ich nicht groß aufgekocht wie letztes Jahr. Denn damals haben
sie meine Köstlichkeiten verschmäht. Aber mein „weit über die Grenzen
Deutschlands hinaus bekanntes“ Trival durfte natürlich nicht fehlen, und es ist
mir wieder hervorragend gelungen, was man auch daran sehen konnte, dass es meine
Schüler nur so verschlungen haben. Auch mein Wein (natürlich Öko-Wein!!) kam gut
an (besonders bei mir). Dieser Abend war wirklich schön, obwohl auch ein
bisschen Wehmut aufkam. Denn ich muss zugeben, „ich habe mich doch tatsächlich
an sie gewöhnt“ und werde meinen Kurs „sogar ein bisschen vermissen“.
Gute Nacht liebes Tagebuch,
Deine Helga
P.S.: ...und nächstes Jahr bekomme ich doch tatsächlich meinen lang ersehnten
Französisch-LK!
Liebe Frau Rehwald,
auch wir müssen zugeben, dass wir den Englisch-LK mit Ihnen ein bisschen
vermissen werden und möchten uns noch für die kleinen Aufheiterungen und die
Mühe, die Sie sich mit uns gemacht haben, bedanken.
Ihr Englisch-LK

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